Die «Ehe für alle» ist verfassungskonform

Lange hat der Ständerat darüber dabattiert, ob die «Ehe für alle» eine Verfassungsänderung erfordert. Dieser Meinung gründet auf einem argumentativer Kurzschluss – oder zumindest auf einem vorgeschobenen. Das erklärt Alain Griffel, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich, im Gastkommentar in der NZZ.

Art. 14 der schweizerischen Bundesverfassung hält fest: «Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet». 1999, als Volk und Stände die Totalrevision der Bundesverfassung zustimmten, war die «Ehe für alle» noch kein Thema. Unter «Ehe» verstand man die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. «Daraus nun aber zu folgern, dass zunächst zwingend die Verfassung geändert und durch eine erweiterte Ehedefinition ergänzt werden müsste, ist ein Fehlschluss», schreibt Alain Griffel in der NZZ, «denn Art. 14 BV regelt das Rechtsinstitut Ehe gar nicht, sondern beinhaltet etwas ganz anderes: eine Grundrechtsgarantie».

Die Ehefreiheit gewährleistet das Recht, ohne Beeinträchtigung des Staates, eine Ehe einzugehen. Der Staat darf eine Person weder von der Ehe abhalten noch dazu zwingen. Was das Grundrecht der Ehefreiheit jedoch nicht beinhaltet, ist ein Verbot, den Begriff der Ehe im Lauf der Zeit weiter zu fassen. Im Gegenteil. Das Grundrecht will schützen, nicht verbieten. «Rechtlich ist eine Anpassung der Verfassung also nicht geboten, um die Ehe für alle einzuführen», so Griffel.

Bei der Verfassungsfrage handelt es sich also nicht um eine rechtliche, sondern um eine rein politische Frage. Und das Parlament hat zu Recht entschieden, dass keine Verfassungsänderung nötig ist. Es wäre sodann auch das erste Mal gewesen, dass der Grundrechtskatalog durch eine Definition ergänzt worden wäre. Schliesslich definiert auch die Religionsfreiheit (Art. 15) nicht, was eine Religion ist, ebenso wenig wie die Eigentumsgarantie (Art. 26) umschreibt, was das Privateigentum beinhaltet.

Die schweizerische Bundesverfassung sieht zudem ein Diskriminierungsverbot vor. Griffel hält fest: «Was gestern noch gesellschaftlich akzeptiert war, kann aus heutiger Sicht eine Diskriminierung darstellen. Wenn sich der Gesetzgeber nun anschickt, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen, so tut er lediglich das, was ihm die Verfassung heute geradezu gebietet. Man kann die Ehe für alle also aus weltanschaulichen oder anderen Gründen ablehnen. Aber man sollte dabei nicht verfassungsrechtliche Argumente vorschieben.»

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